Aufeinanderrauschende Klangfarben
22. February 2018.Ein monumentales Oratorienspektakel hat das Konzerthaus Berlin für den zumindest dimensionalen Höhepunkt seines Festivals Baltikum auf die Bühne gebracht. 250 Beteiligte benötigt “Des Jona Sendung” von Rudolf Tobias. Angereist waren dafür der Lettische Staatschor “Latvija”, der sich mit Cantus Domus aus Berlin und den Kindern des Staats- und Domchores zusammentat, sowie das Estnische Nationale Sinfonieorchester unter der Leitung von Neeme Järvi. In den vergangenen Jahren hatte der 80-Jährige immer wieder Gastdirigate in Berlin abgesagt, umso beglückender, ihn nun mit einem seiner eigenen Orchester erleben zu dürfen.
Der gebürtige Este Rudolf Tobias, der in Sankt Petersburg bei Rimski-Korsakow Komposition studiert hatte, wurde 1912 Professor an der Berliner Königlichen Musikhochschule – weil den damaligen Rektor, Hermann Kretzschmar, die Partitur seines kurz zuvor vollendeten “Jona” beeindruckte. Zu seinen Lebzeiten wurde das Oratorium nach der Uraufführung in Leipzig 1909 nie mehr ganz aufgeführt.
In drei Teilen erzählt “Die Sendung des Jona”, wie der Prophet von Gott beauftragt wird, nach Ninive zu gehen, um die sündigen und sittenlosen Stadtbewohner zu bekehren. Jona will vor dem göttlichen Befehl nach Spanien fliehen, doch auf See bricht ein Sturm aus, und er lässt sich von den Seeleuten über Bord werfen, um das Meer zu beruhigen, und verbringt drei Tage im Bauch eines Wales. Heute mag das Werk wie eine Mischung aus überdimensioniertem Kindergottesdienst und Raubkunst klingen. In seiner Entstehungszeit 1908 bis 1910 war das “Quasi-Zitieren” schicklich. Immer wieder erinnert die mächtige Wucht des Orchesters an Richard Wagner. Der Seesturm etwa scheint wie aus dem “Fliegenden Holländer” entlehnt. An anderer Stelle lässt Tobias den “Chorus Mysticus”, klanglich dicht und doch schwebend leicht gesungen vom Ensemble Cantus Domus, wie einen Bach-Choral klingen. Aber es gelingen ihm auch wunderschöne eigene Motive, etwa in der “Nacht der Gottverlassenheit” im Bauch des Wales.
Man kann als Zuhörer nicht umhin, sich fesseln zu lassen. Von einem zutiefst religiös überzeugten Komponisten, der Klangfarben aufeinanderrauschen lässt wie Rosa und Orange. Von mindestens zwei der fünf Solisten, nämlich der Münchner Sopranistin Susanne Bernhard und dem gebürtigen Esten Ain Anger in der Rolle des Jona, der für den Propheten eine Farbigkeit zwischen Wagner-Sänger und lyrischem Bariton findet. Vor allem aber von Neeme Järvi, der niemals zu arbeiten scheint beim Dirigieren, aber mit größter Klarheit jeden einzelnen der 250 Mitwirkenden persönlich anspricht.
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